Prozesse und Methoden - von was reden wir denn gerade?

Veröffentlicht am 07. Mai 2013 von Rüdiger Kaffenberger

Einleitung

In einem Unternehmen, das sich hauptsächlich mit der Software-Entwicklung befasst, bleibt es nicht aus, man muss sich über Prozesse und Methoden unterhalten. Dabei haben wird festgestellt, dass jeder der Beteiligten eine etwas andere Vorstellung von unserem Diskussionsgegenstand hatte. Es musste also eine Begriffsklärung her. Die war aber auch nicht so einfach, wie wir uns das zuerst gedacht hatten, mit ein paar griffigen Sätzen war es nicht getan – um das Konzept leicht verständlich zu machen, muss man ein Beispiel bemühen und so kamen wir zu dem Entschluss, statt unsere Sitzung unendlich in die Länge zu ziehen, diese etwas ausführlichere Begriffsklärung zu verfassen.

Der Begriff Prozess, ganz allgemein

Der Begriff Prozess begegnet uns im täglichen Leben häufig. Deshalb glauben wir auch alle zu wissen, was damit gemeint ist. Doch sind mit kaum einem anderen Begriff so viele kontextspezifische Auslegungen verbunden, wie mit Prozess. Wir kennen Prozesse, wie sie in der Straf- oder Zivilgerichtsordnung definiert sind, wir sprechen von chemischen Prozessen, gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, von Betriebssystemprozessen, von Geschäftsprozessen und von Entwicklungsprozessen – die letzeren waren das Thema unserer Besprechung. Obwohl alle genannten Prozesse und vielen nicht genannten ein gemeinsames Grundkonzept repräsentieren, unterscheiden sie sich Dochch hinsichtlich dessen, was wir von ihnen erwarten und mit ihnen verbinden, ganz erheblich.

Darum werfen wir zuerst einen Blick auf die gemeinsame Basis. Wir bedienen uns aus Wikipedia. Da lesen wir:

„Ein Prozess (Schreibung im 20. Jahrhundert Prozeß, im 19. Jahrhundert häufig Process, etwas weniger Proceß) kann als ein Verlauf, eine Entwicklung oder ganz allgemein als ein System von Bewegungen bezeichnet werden. Vergleichbare Begriffe sind auch >>Hergang<>Fortgang<>Ablauf<>Vorgang<

Die ursprüngliche Hauptbedeutung ist der Prozess als Rechtsbegriff. In den Natur- und Sozialwissenschaften ist Prozess heute eine Bezeichnung für den gerichteten Ablauf eines Geschehens. In betrieblich-organisatorischen Zusammenhängen werden Prozesse auch als Geschäftsprozesse bezeichnet. "Prozesse" nennt man auch in Computersystemen ablaufende Programme, die i. d. R. Teile der Systemsoftware sind.“

Entwicklungs- und Geschäftsprozesse, so wie ISO sie versteht

Da wir uns speziell für Entwicklungs- oder Geschäftsprozesse und ihrer Bewertung mittels Prozessbewertungsmodellen interessieren, kommen wir sicher schneller zu einer guten Beschreibung, wenn wir nachschauen, was das Ergebnis der Begriffsklärung durch die Autoren der entsprechenden Standards und Normen ist. Die oberste Normungsorganisation ISO hat für sich in ISO/IEC TR 24772:2010(E) festgelegt, wie Entwicklungs- und Geschäftsprozesse in den ISO-Standards beschrieben werden sollen. Danach besteht eine Prozessbeschreibung aus den folgenden Elementen:

  • Titel,
  • Zweck,
  • Resultate,
  • Aktivitäten,
  • Aufgaben,
  • Informationselemente.

Die Elemente „Zweck“ und „Resultate“ zeigen, dass auch bei ISO die Eigenschaft „zielgerichtet“ im Vordergrund steht. „Aktivitäten“ und „Aufgaben“ beschreiben ein „Geschehen“. Das entspricht alles der allgemeinen Prozessdefinition, wie wir sie in Wikipedia gefunden haben. Wie ISO nun den Prozessbegriff spezialisiert, können wir aus den Definitionen der angeführten Elemente lernen:

Prozess: Eine Menge von zusammengehörenden und zusammenhängenden Aktivitäten, die Eingaben zu Ergebnissen transformieren.

Prozesszweck: Das oberste Ziel der Durchführung des Prozesses und die wahrscheinlichen Ergebnisse einer erfolgreichen Umsetzung des Prozesses. Hinweis: Die Umsetzung des Prozesses soll greifbare Vorteile für die interessierten Parteien bieten.

Prozessergebnis: Beobachtbares Resultat der Erreichung des Prozesszwecks.

Aktivität: Eine Menge zusammenhängender Aufgaben eines Prozesses. Die Aktivitäten sind eine Liste von Tätigkeiten, die dazu benutzt werden können, die Ergebnisse zu erzielen. Jede Aktivität kann als eine Gruppe von zusammengehörenden Aktivitäten auf einer niedrigeren Ebene verfeinert werden.

Aufgabe: Eine Anforderung, Empfehlung oder zulässige Aktivität, die gedacht ist, um zur Erzielung eines oder mehrerer Ergebnisse des Prozesses beizutragen. Die Aufgaben sind spezifische Tätigkeiten, die ausgeführt werden können, um eine Aktivität durchzuführen. In einer Aktivität sind oft zusammengehörende Tätigkeiten zusammengefasst. Hinweis: In Spezifikationen von Prozessmodellen für die Beurteilung von Prozessen wird häufig der Ausdruck „practice“ oder „base practice“ als Synonym für Aufgabe benutzt.

Informationselement: Ein für sich identifizierbarer Rumpf von Informationen, der im Rahmen der System- oder Software-Entwicklung erzeugt und abgelegt wird, um von Menschen benutzt zu werden.“

Zu den Aktivitäten und Aufgaben finden wir in ISO/IEC TR 24772:2010(E) weiterhin die folgende wichtige Aussage:

„Es soll vermieden werden, Zeit- oder Reihenfolgeanforderungen mit den [Aktivitäten bzw. Aufgaben] zu verbinden, da das die Verwendung der Prozessbeschreibung auf ein spezielles Lebenszyklusmodell einschränkt. Wenn jedoch Zeit- oder Reihenfolgeanforderungen unabdingbar sind, dann müssen sie auch ausdrücklich spezifiziert werden. Wenn keine Zeit- oder Reihenfolgeanforderungen angegeben sind, dann darf auch nicht erwartet werden, dass der Leser welche annimmt.“

Der Prozessbegriff bei softwareinmotion

Bei softwareinmotion wollen wir Prozesse in der Weise verstehen und beschreiben, wie ISO das tut – also ist für uns ein Prozess eine Menge von Aufgaben, die dazu dienen, ein definiertes Ziel zu erreichen. Die Aufgaben bestehen darin, definierte Eingaben in definierte Ergebnisse zu transformieren und notwendige Informationselemente zu erzeugen. Bei der Prozessbeschreibung sollen dabei möglichst keine Zeit- oder Reihenfolgevorgaben gemacht werden, damit die Prozessbeschreibung unabhängig von den Details des Produklebenszyklus ist.

Methoden

Laut Wiktionary ist eine Methode die „Art und Weise, wie man etwas tut, um ein Ziel zu erreichen“.

Eine Prozessbeschreibung bleibt gewollt abstrakt. Sie definiert, was zu tun ist, um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Um nun tatsächlich etwas zu erreichen, muss auch definiert sein, wie die Ziele erreicht werden sollen. Das Wie wird durch Methoden repräsentiert.

Für die Beschreibung von Methoden gibt es kein Äquivalent zu ISO/IEC TR 24772:2010(E). Doch ist es bestimmt sinnvoll, sich an ISO/IEC TR 24772:2010(E) zu orientieren und eine Methodenbeschreibung analog zu strukturieren. Wichtig jedoch ist, in einer Methodenbeschreibung anzugeben unter welchen Bedingungen die Methode vorteilhaft ist und unter welchen Bedingungen sie nicht eingesetzt werden soll. Auch sind der zeitliche Ablauf und die Reihenfolge der Arbeitsschritte einer Methode wichtig und müssen angegeben werden.

Prozess und Methode gemeinsam repräsentieren eine ausführbare Handlungsanweisung

Erst durch die Kombination von Prozessbeschreibung und Methodenbeschreibung erhalten wir eine wirklich ausführbare Handlungsanweisung. Wichtig dabei ist, dass in einem Prozess zur Erfüllung einer Aufgabe situationsabhängig verschiedene Methoden zum Einsatz kommen können.

Der Gebäckbereitstellungsprozess

An einem griffigen Beispiel sollen die Idee und die daraus resultierenden Vorteile der Prozessdefinition, wie sie ISO vorgenommen hat, illustriert werden. Um die Phantasie des Lesers anzuregen, habe ich mich, statt für einen Software-Entwicklungsprozess, für den Gebäckbereitstellungsprozess entschieden. Bei der Prozessbeschreibung beschränke ich mich auf die Elemente, die notwendig sind, das oben geschriebene zu illustrieren.

Prozessbeschreibung – Gebäckherstellungsprozess (verkürzt):

  • Ziel: Aus Rohstoffen wird ein verzehrfertiges Gebäck hergestellt.
  • Aktivitäten und Aufgaben:
    • Aktivität: Bereitstellen der Zutaten
      • Aufgabe: Analysieren des Bedarfs
      • Aufgabe: Beschaffen der Zutaten
      • Aufgabe: Lagern der Zutaten
    • Aktivität: Herstellen der Gebäckrohmasse
      • Aufgabe: Auswählen der für die Gebäckrohmasse notwendigen Zutaten
      • Aufgabe: Portionieren der Zutaten
      • Aufgabe: Vermischen der Zutaten
    • Aktivität: Verfestigen der Gebäckrohmasse
      • Aufgabe: Aufbereiten der Gebäckrohmasse für den Verfestigungsprozess
      • Aufgabe: Durchführen des Verfestigungsprozesses
    • Aktivität: Formen des Gebäcks
      • Aufgabe: Das Gebäck in arttypischer Weise formen
    • Aktivität: Zufügen von Zutaten, die nicht Bestandteil der Gebäckrohmasse sind
      • Aufgabe: Auswählen der Zutaten, die nicht Bestandteil der Gebäckrohmasse sind
      • Aufgabe: Applizieren der Zutaten, die nicht Bestandteil der Gebäckrohmasse sind
    • Aktivität: Darbieten des Gebäcks
      • Aufgabe: Lagern des Gebäcks
      • Aufgabe: Das Gebäck in zum Verzehr geeignete Portionen aufteilen
      • Aufgabe: Das Gebäck in zum Verzehr anregender Weise präsentieren

Warum in Prozessdefinitionen Zeit- und Reihenfolgevorgaben vermieden werden müssen

Ich habe mich hier nur auf das Ziel des Prozesses und die notwendigen Aktivitäten und Aufgaben beschränkt. Dennoch kann man an diesem Beispiel gut sehen, warum es schädlich wäre, die Reihenfolge der Aktivitäten bereits in der Prozessbeschreibung festzulegen: Manche Gebäcke wie beispielsweise Brezeln werden bereits vor dem Backen in geeignete Portionen aufgeteilt und geformt, andere erst nach dem Backen, zum Beispiel die Bisquitrolle. Ebenso ist das mit dem Aufbringen von Zutaten, die nicht Bestandteil der Gebäckrohmasse sind. Manche „Garnierung“ wie Salz- oder Getreidekörner werden vor dem Backen aufgebracht, die Verzierung der Torte aber erst nach dem Backen. Wenn diese Unterschiede bereits in der Prozessbeschreibung berücksichtigt wären, hätten wir es mit einer sehr großen Zahl unterschiedlicher Prozesse zu tun, die aber alle das gleiche Ziel hätten und die gleichen Qualitätsmerkmale aufweisen. Für die Beschreibung der Prozesse, das Bewerten ihrer Qualität und das Errichten eines Qualitätsmanagementsystems würde ein großer Aufwand entstehen, dem kein Nutzen entgegensteht.

Die Rolle der Methoden

Statt die unterschiedlichen Möglichkeiten eine Aufgabe zu erledigen, in die Prozessbeschreibung aufzunehmen, packen wir sie in Methodenbeschreibungen. Die Aktivität „Bereitstellen der Zutaten“ soll hier als Beispiel dienen. Wir können uns für die Bewältigung der Aufgabe „Beschaffen der Zutaten“ drei Methoden vorstellen: Großeinkauf, gezielter Einkauf, Nachbarschaftshilfe.

Die Methode Großeinkauf bietet sich an, wenn häufig Gebäck hergestellt wird. Anhand der Planung für einen absehbaren Zeitraum werden die Zutaten in größeren Mengen eingekauft dort eingekauft, wo sie am günstigsten zu haben sind, ohne explizit auf die Mengen für einzelne Backvorhaben einzugehen. Die Methode für die Aufgabe Analysieren des Bedarfs muss dabei den Planungszeitraum und die Lagermöglichkeiten berücksichtigen.

Die Methode gezielter Einkauf bietet sich an, wenn sich das Geschehen auf ein einzelnes Backvorhaben konzentriert. Die Zutaten werden in den explizit benötigten Mengen und möglichst an einer Stelle eingekauft. Die Analyse des Bedarfs bezieht sich nur auf das Rezept für das anstehende Backvorhaben und muss auch nur eine kurzzeitige Lagerung in Betracht ziehen.

Die Methode Nachbarschaftshilfe kommt meist bei spontanen Backvorhaben zum Einsatz. Die Zutaten werden den zufällig vorhandenen Vorräten entnommen und wenn die Analyse des Bedarfs, die ad-hoc erfolgt, einen Mangel ergibt, wird versucht, sich das Notwendige bei einem Nachbarn auszuborgen. Wenn der Einsatz der Methode Nachbarschaftshilfe geplant ist, kann die Aufgabe Lagerung für die geborgten Zutaten „weg geschneidert“ werden, da diese Zutaten direkt verarbeitet werden.

Zusammenfassung

  • Ein Prozess ist abstraktes Modell, das beschreibt, was zu tun ist, um Eingaben in Ergebnisse zu transformieren
    (Ein Teil dieser Ergebnisse dient dazu, die Erreichung des Prozessziels zu dokumentieren – das geht aus dem Text oben nicht direkt hervor, da ich auf die Rolle der Informationselemente nicht eingegangen bin.) Wichtig ist dabei, die Vorgabe von Zeit- oder Reihenfolgen soweit wie möglich zu vermeiden. So können mit vergleichsweise kleinem Aufwand die nötigen Prozesse vollständig beschrieben und miteinander vernetzt werden.
  • Eine Methode ist ein konkretes Modell, das beschreibt wie eine Aufgabe in einem Prozess durchgeführt werden kann.
    In einer Methode unterliegen die Schritte häufig Zeit- oder Reihenfolgevorgaben. Wichtig ist, dass der sinnvolle Einsatzbereich der Methode definiert ist, damit eine der Problemstellung angepasste Methode gewählt wird und damit mittels der gewählten Methoden das Prozessziel erreicht wird.

Das Sprichwort sagt „es führen viele Wege nach Rom“ – ebenso kann man sagen „es führen viele Methoden den Prozess ins Ziel“.